Wissenschaftskommunikation mit dem Schwerpunkt Wirkung/Transfer
Wir forschen und lehren zu den Chancen und Risiken von Wissenschaftskommunikation in polarisierten gesellschaftlichen Kontroversen, z.B. zu den Debatten um die Regulierung von Genom Editierung, den Klimawandel, die Digitalisierung u.a.m.
Uns interessiert zum Beispiel, wie die Medien über diese Themen berichten, welche Akteure sich in diesen Debatten mit welchen Argumenten zu Wort melden, wie die Medieninhalte auf das Medienpublikum oder auf involvierte Akteure wirken (z. B. Wissenschaftler oder Umweltschützer) und wie sie politische oder gesellschaftliche Prozesse beeinflussen.
Moralisierungen in der Wissenschaftskommunikation - Ursachen, Formen und Wirkungen (MOWIKO)
Zahlreiche öffentliche Debatten widmen sich Problemlagen, die sich durch ein Gemenge an gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragestellungen auszeichnen. Solche „gesellschaftlich-wissenschaftlichen Problemlagen“ ergeben sich daraus, dass empirische Wissenschaften einerseits gesellschaftliche Probleme identifizieren (Klimawandel, Antibiotikaresistenzen etc.) und Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung entwickeln (Impfungen, Risikobewertungen etc.). Andererseits werfen die Erkenntnisse empirischer Wissenschaften normative Fragen auf, die auf der Grundlage deskriptiver wissenschaftlicher Aussagen alleine nicht beantwortet werden können. Dazu gehören Fragen nach der gesellschaftlichen Priorisierung von Zielen, dem vertretbaren Umgang mit Risiken und Unsicherheiten, der Gewichtung von Kosten und Nutzen oder nach angemessenen Lebensweisen. Antworten auf solche normativen Fragen werden in Demokratien in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen errungen, die nach einer demokratietheoretischen Idealvorstellung auf Diskursfähigkeit basieren und deren Ergebnisse zu evidenzbasierten Kompromissen führen. In Realität sind Auseinandersetzungen mit gesellschaftlich-wissenschaftlichen Problemlagen häufig wenig kompromissorientiert und wenig auf Sachargumente fokussiert. Ein Grund hierfür dürfte die Art und Weise sein, wie moralische Aspekte in solchen Debatten adressiert werden.
Die Moralisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist Gegenstand des interdisziplinären, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsvorhabens. Ziel des kommunikationswissenschaftlichen Teilprojekts ist es, Formen von Moralisierungen in öffentlichen Debatten, Entstehungsbedingungen für moralische Überzeugungen und ihre Wirkungen auf die Kompromissfähigkeit und Redebereitschaft von Menschen in Auseinandersetzungen mit gesellschaftlich-wissenschaftlichen Problemlagen zu untersuchen. Die Projektleitung liegt bei Prof. Dr. Senja Post und Dr. Doris Teutsch, Projektmitarbeiterin ist Lisa Gaffney.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Ekkehard Felder, Dr. Maria Becker und Janine Dengler von der Germanischen Linguistik der Universität Heidelberg sowie Prof. Dr. Dr. Rafaela Hillerbrand, Dr. Elisabeth Does, Dr. Christine Milchram und Anna Klassen vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) werden wir uns diesem Problemfeld annehmen.
Projektleitung: Prof. Dr. Senja Post, Dr. Doris Teutsch
Projektmitarbeiterin: Lisa Gaffney
Beziehungen zwischen Energie ‚Issue Publics‘ und Leitmedienberichterstattung in dynamischer Perspektive
Das Verbundprojekt „Clean Circles“ erforscht die klimaneutrale Speicherung von Energie in Eisen, um regenerativ erzeugten Strom CO2-frei transportierbar zu machen. Dies könnte dazu beitragen, die Herausforderung der fluktuierenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen zu bewältigen.
Technologische Innovationen wie die Energiespeicherung in Eisen hängen unter anderem von der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Kosten und ihres Nutzens ab. Grob gesagt, kann man die Öffentlichkeit zu spezifischen Themen in zwei Segmente einteilen – ein sehr aufmerksames, interessiertes, gut informiertes, involviertes Segment (die sogenannte Themenöffentlichkeit) sowie ein relativ uninteressiertes, unaufmerksames, sporadisch informiertes Segment.
Teilnehmer spezifischer Themenöffentlichkeiten sind typischerweise nicht nur intensive Mediennutzer, sondern auch engagierte Kommunikatoren. Um Informations- und Meinungsdynamiken für Eisen als Energiespeicher abschätzen können, untersuchen wir Wechselwirkungen zwischen der Medienberichterstattung sowie der Informationsnutzung und des Kommunikationsverhaltens der Angehörigen relevanter Themenöffentlichkeiten zur Energiewende. Geplant sind Panelbefragungen von Befürwortern und Gegnern der Energiewende sowie standardisierte quantitative Medieninhaltsanalysen.
Projekt im Rahmen des Verbunds Clean Circles, finanziert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit Projektpartnern an der TU Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Karlsruher Instituts für Technologie.
Projektleiterin: Prof. Dr. Senja Post
Projektmitarbeiter: Lukas Schmidt, M.A.
Relevante Vorarbeiten:
Post, S. (2019). Polarizing communication as media effects on antagonists. Understanding communication in conflicts in digital media societies. Communication Theory, 29(2), 213–235. https://doi.org/10.1093/ct/qty022
Post, S. (2017). Incivility in controversies: The influence of presumed media influence and perceived media hostility on the antagonists in the german conflict over aircraft noise. Communication Research, 44(8), 1149–1175. https://doi.org/10.1177/0093650215600491
Wirkungen politisierter Wissenschaftsäußerungen auf das Vertrauen in Wissenschaft
In öffentlichen Sachdebatten werden häufig wissenschaftliche Erkenntnisse zitiert und genutzt, um politische Ziele zu erreichen. Hierbei kann in Teilen der Öffentlichkeit der irrtümliche Eindruck entstehen, als könne oder solle wissenschaftliches Wissen politische Handlungen vorgeben. Das ist deshalb falsch, weil politische Entscheidungsträger immer auch Wertkonflikte lösen müssen, die die deskriptiven Wissenschaften nicht lösen können – zum Beispiel über die Vorrangigkeit politischer Probleme, über die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit bestimmter Maßnahmen usw.
In der akademischen Auseinandersetzung mit Wissenschaftskommunikation wird immer wieder Vermutung geäußert, dass der Eindruck, Wissenschaft könne politische Entscheidungen vorgeben, ein Risiko für die Wissenschaft sein kann. Es könne dazu führen, dass Menschen Wissenschaftler als Ursache bestimmter politischer Maßnahmen wahrnehmen und ihre politische Zufriedenheit oder Unzufriedenheit an die Wissenschaft statt an die Politik richten.
Wir haben diesen Zusammenhang in einer Serie von Experimenten in verschiedenen Fallstudien (Konflikt um Schulschließungen in der Pandemie, Konflikt um den Umgang mit Wölfen, Konflikt um Inlandsflüge im Klimawandel) geprüft und die Ergebnisse in einigen Vorträgen vorgestellt. Unsere Studie ist zur Veröffentlichung eingereicht und in Begutachtung.
Projektleiterin: Prof. Dr. Senja Post
Projektmitarbeiter: Nils Bienzeisler, M.A.
Finanzierung: Eigenmittel
Vorträge zum Projekt:
Post, S. & Bienzeisler, N. (2022). The democrat versus the expertocrat. How scientists’ policy advice influences ideologically polarized attitudes toward science. Vortrag auf der "72nd Annual Conference" der International Communication Association, Paris: Mai 2022.
Post, S. (2022). The epistocrat versus the democrat. How a political discharge of scientific information can attenuate polarized trust in science. Vortrag auf der Konferenz “Interface Science – Politique dans les parlaments” der Cellule Scientifique de la Chambre des Députés du Luxembourg, Luxemburg: Mai 2022.
Post, S. (2021). Epistokrat oder ehrlicher Makler? Einflüsse zweier Stile öffentlicher Politikberatung auf das Vertrauen in Wissenschaft. Vortrag beim Politikfrühstück 2 „Vertrauen in Wissenschaft und Innovation“ des Tagesspiegel, Berlin: Dezember 2021.
Relevante Vorarbeiten:
Post, S. (2022). Zwischen Expertokratie und Wissenschaftspopulismus. Wie die politische Aufladung wissenschaftlicher Expertise polarisiert. Aus Politik und Zeitgeschichte 72(26/27), 28-34. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaft-oeffentlichkeit-demokratie-2022/509590/zwischen-expertokratie-und-wissenschaftspopulismus/
Post, S., Bienzeisler, N. & Lohöfener, M. (2021). A desire for authoritative science? How citizens’ informational needs and epistemic beliefs shaped their views of science, news, and policymaking in the COVID-19 pandemic. Public Understanding of Science, 30(5), 496–514. https://doi.org/10.1177/09636625211005334
Wie speisen Angehörige von Issue Publics Mainstream-Nachrichten auf Twitter ein? Eine Fallstudie am Beispiel der Genschere in der Landwirtschaft
In gegenwärtigen Mediensystemen kommen viele Menschen sporadisch und beiläufig mit Nachrichten in Kontakt – zum Beispiel, wenn sie sich in soziale Netzwerke einloggen und dort sehen, was befreundete, bekannte oder prominente User teilen, denen sie folgen. Dies wirft Fragen nach den Mustern auf, mit denen User Nachrichten und Informationen in soziale Netzwerke einspeisen und verbreiten.
Wir untersuchen in der Kontroverse um die Genom Editierung in der Landwirtschaft Bedingungen, unter denen User Nachrichten einspeisen, die ihre Einstellungen stützen und Nachrichten einspeisen, die ihre Einstellungen hinterfragen. Unsere Untersuchung basiert auf manuellen standardisierten Inhaltsanalysen der Berichterstattung traditioneller Massenmedien, aller Tweets, die Beiträge der Massenmedien auf Twitter einspeisen sowie aller zugehörigen User-Accounts.
Ergebnisse unserer Untersuchung haben wir der Fachöffentlichkeit bereits auf Tagungen vorgestellt. Ein Manuskript zur Veröffentlichung ist derzeit in Begutachtung.
Projektleiterin: Prof. Dr. Senja Post
Projektmitarbeiter: Nils Bienzeisler, M.A.
Finanzierung: Eigenmittel
Vorträge:
Post, S., Bienzeisler, N., & Pannach, F. (2022). Challengers and defenders as news feeders. A quasi-experimental field study in the controversy over genome editing. Vortrag auf der "72nd Annual Conference" der International Communication Association, Paris: Mai 2022.
Publikationen:
Post, S., Bienzeisler, N., & Pannach, F. (im Druck). An Issue Public’s Confirmation-Biased News Feeding in Changing Political Constellations: A Quasi-Experimental Field Study in the German Conflict over Genome Editing. New Media & Society.
Dissertation Nils Bienzeisler
In öffentlichen Kontroversen wird oft auf wissenschaftliche Expertise zurückgegriffen. Dabei entstehen Fragen hinsichtlich der Rolle von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in diesen Debatten. Sind sie neutrale Informationsgeber oder nehmen sie eher eine aktivistische Rolle mit politischen Wertvorstellungen ein? Wissenschaftliche Erkenntnisse sind deskriptiver Natur, während politische Diskussionen oft von normativen Wertvorstellungen geprägt sind. Die Vermischung dieser Ebenen kann zu Missverständnissen führen.
Nils Bienzeislers Dissertation greift genau diese Thematik auf und nimmt sie kritisch unter die Lupe. Dabei wird speziell darauf eingegangen, wie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Expertise in öffentlichen Debatten kommunizieren und welche Annahmen sie bezüglich des politischen Prozesses haben, die ihre Kommunikation beeinflussen könnten. Dazu werden in der Arbeit öffentliche Kontroversen um die COVID-19-Pandemie und Umweltfragen als exemplarische Fälle herangezogen. Mit Hilfe von quantitativen Befragungen, einer Inhaltsanalyse von Tweets und qualitativen Nachbefragungen wird untersucht, wie sich die wissenschaftliche Expertise in diesen Debatten darstellt. Die Arbeit zielt darauf ab, ein besseres Verständnis davon zu entwickeln, welche Position Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in demokratischen Gesellschaften einnehmen und wie sie in politisch aufgeladenen Debatten kommunizieren. Die Dissertation leistet einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Wissenschaft in der Öffentlichkeit.
Erste Ergebnisse der Untersuchung wurden der Fachöffentlichkeit bereits auf Tagungen vorgestellt.
Doktorand: Nils Bienzeisler, M.A.
Betreuung: Prof. Dr. Senja Post
Vorträge:
Bienzeisler, N. (2023). Post-Political Attitudes in Environmental Debates Among Scientists. Vortrag auf der "73rd Annual Conference" der International Association Communication, Toronto: Mai 2023.